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Schmerzgedächtnis

Als ich das erste Mal vom Schmerzgedächtnis des Körpers hörte, fühlte ich mich nicht angesprochen. Doch dann stellte die Psychologin in der Schmerzgruppe das Konzept nochmals ausführlich vor. Ich staunte, ich fühlte mich erleichtert, ich hatte das Gefühl gemeint zu sein. Endlich eine Erklärung und dann auch noch eine, die tatsächlich körperliche Aspekte enthielt. Der Schmerz war nicht rein psychisch, ein beruhigendes Gefühl. In den letzen Jahren hatte ich so oft gehört, dass es keine Ursache für meine Schmerzen gäbe, dass ich manchmal selbst an mir zweifelte. Aber jetzt hatte ich zumindest eine kleine Erklärung.
Zu Hause fing ich an, mich mit wissenschaftlichen Artikeln zu dem Thema zu beschäftigen. An dieser Stelle versuche ich das „Schmerzgedächtnis“ möglichst vereinfacht zu erklären.

Schmerz ist ein sehr komplexes System (hier habe ich dazu mehr geschrieben). Wer im Biologieunterricht aufgepasst hat, erinnert sich vielleicht noch an die Nozizeptoren, freie Nervenenden, die Schmerzreize weiterleiten. Die Nozizeptoren kommen außer im Zentralnervensystem und in der Leber im gesamten Körper vor.
Hitze, Kälte, Druck und chemische Reize, wie bei Entzündungen, sorgen dafür, dass diese Nervenenden Signale weiterleiten und uns damit warnen. Das Wort ist vom lateinischen ‚nocere‘ abgeleitet, das mit ‚Schaden‘ übersetzt werden kann. Die Nozizeptoren leiten Reize weiter an das Rückenmark, wo sie wiederum von auf Schmerz spezialisierte Nervenzellen weitergeleitet und von dort aus in einer weiteren „Schaltzentrale“ oberhalb des Hirnstamms verarbeitet und in verschiedene Gehirnregionen übertragen werden. Es gibt also nicht nur ein Areal im Körper oder im Gehirn, das für den Schmerz zuständig ist. Umso Komplexer sind die Erforschung und die Behandlung. 

Ärgerlicherweise ist die Schmerzfunktion die einzige im Körper, die bei häufiger Wiederholung sensibler wird. Unser wunderbarer Körper sorgt normalerweise dafür, dass wir Empfindungen richtig einschätzen. Wenn etwas immer wieder auftritt, bemerken wir es irgendwann nicht mehr. Der Pullover, der unsere Haut berührt, wird nicht durchgehend wahrgenommen. Ein Umgebungsgeräusch, das immer da ist, kann irgendwann in den Hintergrund treten. Situationen, die uns beim ersten Mal als belastend oder besonders erschienen, verlieren mit der Zeit an Bedeutung. Der Körper lernt. Wir gewöhnen uns. Manchmal stumpfen wir sogar ab.

Auch Nervenzellen lernen, und das sehr schnell. Nur tritt hier keine Gewöhnung ein, sondern eine erhöhte Sensibilität. Die Nervenzellen verändern bei häufiger Reizung ihre Struktur, ihren Stoffwechsel. Die Erregungsübertragung zwischen den Synapsen erhöht sich, man spricht von einer synaptischen Langzeitpotenzierung. Und es werden vermehrt Rezeptoren ausgebildet, die schon bei kleinsten Impulsen Reize übertragen. Kleinste Reize können nun Schmerzen auslösen, die ein gesunder Körper nicht als Schmerz wahrnehmen würde.

Wenn diese Sensibilisierung stattgefunden hat, wird vom „Schmerzgedächtnis“ gesprochen. Der Körper hat sich, sehr vereinfacht ausgedrückt, den Schmerz gemerkt. Bei den allermeisten chronischen Schmerzsyndormen liegt eine Gewebeschädigung zugrunde, aufgrund derer der Körper ein Schmerzgedächtnis ausgebildet hat. Das kann dazu führen, dass die Verletzung schon lange verheilt ist, der Schmerz aber bleibt.

Das ist auch ein Grund dafür, warum starke akute Schmerzen unbedingt mit einem Schmerzmittel behandelt werden sollten. Der Körper sollte keine Gelegenheit bekommen, ein Schmerzgedächtnis auszubilden. Denn liegt ersteinmal eine chronische Schmerzerkrankung vor, ist es sehr schwer, diese wieder los zu werden. Ein Schmerzgedächtnis lässt sich nicht einfach löschen. Dem Körper muss sehr mühevoll beigebracht werden, dass er keinen Grund hat Alarm zu schlagen. Derzeit ist die effektivste Methode hierfür die multimodale Schmerztherapie. Und wie man an meinem Beispiel sieht, kann ein Schmerzgedächtnis dennoch bleiben. Die Betrachtung von Schmerz als Krankheit ist in der Medizingeschichte eher neu. Auch zu der Behandlung von chronischen Schmerzsyndromen wird noch nicht lange geforscht. Entsprechend gibt es Ansätze zur Behandlung eines „Schmerzgedächtnisses“, aber es fehlen auch noch einige Erkenntnisse.

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