Alltag mit Schmerz

Nach Aussen

Ich bin mehr als Schmerz und doch ist er ein Teil von mir. Patientinnen mit chronischen Erkrankungen kommen immer wieder in die Situation in der sie entscheiden müssen, ob, wann und wie sie ihre Erkrankung thematisieren. Insbesondere bei nicht sichtbaren Einschränkungen wie eben Schmerz stellt das Umfeld manchmal unerfüllbare Anforderungen. Weil sie normal erscheinen. Weil wir in einer Gesellschaft leben, in der von einer homogenen Norm ausgegangen wird.

Wann also erzähle ich, dass ich Schmerzpatientin bin, vielleicht sogar, dass ich chronisch krank bin?

Grundsätzlich glaube ich daran, dass nur Transparenz und Offenheit zu Verständnis und Veränderung führen können. Und trotzdem gibt es Situationen, in denen ich lieber nicht erzähle, was los ist.

Ich erinnere mich daran, wie überrascht ich war, als mir ein Mitpatient in der Psychosomatischen Abteilung erzählte, dass kaum jemand wusste, dass er im Krankenhaus war. Nur die ganz enge Familie und die wichtigsten Freunde wussten Bescheid. Das irritierte mich und brachte mich zum Nachdenken. Krankheit ist ein Stigma und psychische Krankheit umso mehr.

Er fragte mich, was ich erzählte wo ich war, und schien beeindruckt als ich antwortete, dass die Meisten Kontakte Bescheid wüssten.

Es gab Zeiten, da habe ich lieber von einer Verletzung als von einer Krankheit gesprochen. Das klang irgendwie cooler, sportlicher, altersentsprechender und weniger dauerhaft. Und es hat sehr, sehr lange gedauert, bis ich verstanden habe, dass Schmerz eine Krankheit ist.

Als ich mich entschieden habe, diesen Blog zu schreiben, habe ich sehr lange darüber nachgedacht, was ich hier von mir preisgebe. Sollte ich es Anonym tun? Meinen Namen verwenden? Wem davon erzählen? Ist es zu privat? Oder viel wichtiger: Bringt es Nachteile mit sich? Wird es zu Verständnis führen, wenn ich Kolleginnen den Link schicke oder macht es Probleme? Was, wenn ein zukünftiger Arbeitgeber mich googelt und erstmal von Fehlzeiten und Co liest?

Wenn aber niemand erzählt, versteht auch keiner. Und das Thema kommt nicht in die Öffentlichkeit.

Wenn ich ein Date habe, erzähle ich in der Regel nicht schnell von meinen Schmerzen. Es gibt ja auch wirklich Interessanteres an mir. Und Wichtigeres. Wenn ich das erste Mal absage, weil es mir nicht gut geht, rede ich meist von Krankheit oder Grippe. Aber irgendwann – bloß wann? – erzähle ich. Zwangsläufig.

Letztlich steht jeder Mensch vor der Frage, was er von sich zeigt. Unzählige soziologische und psychologische Theorien setzen sich damit auseinander. Wir stellen uns dar. Erwing Goffman titelt „Wir alle spielen Theater“. Aber oft ist das ein unbewusster Prozess. Und ich frage mich immer wieder ganz bewusst: Wann und wie?

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