
Befunde
Ich habe heute die eine Sache gemacht, die man nicht machen sollte.
Nachdem ich wieder seit Tagen Schmerzen, Missempfindungen und Kribbeln im Bein hatte, wurde ich unruhig.
Zur Linderung machte ich Dehnübungen und leichten Sport, aber irgendwie hatte ich Sorge, es damit schlimmer machen zu können.
Bei dem Schmerz, den ich kenne, weiß ich inzwischen, dass ich jede Bewegung machen kann. Es ist oft das Schmerzgedächtnis, das sich meldet, nicht eine akute Gefahr. Aber jetzt war ich unsicher. Ich hörte auf und holte mir ein Glas Wasser aus der Küche. Auf dem Tisch lag der Umschlag – verlockend.
Vor drei Tagen wurde erneut ein MRT der Lendenwirbelsäule gemacht. Inzwischen bekommt man die Aufnahmen nicht mehr mit nach Hause – stattdessen gibt es einen Code um Bilder und Befund online abzurufen. Früher bekam ich die Bilder oder eine CD mit nach Hause, der Befund allerdings wurde an den Arzt gefaxt. Jetzt lag er quasi vor mir.
Ich öffnete den Umschlag und gab den Code auf der Website ein. Eigentlich, um mich zu beruhigen. Um zu lesen, dass es keine dramatischen Veränderungen seit den letzten Aufnahmen gab. Vielleicht hat eine Bandscheibe an Höhe verloren, vielleicht wird eine Nervenwurzeltasche gereizt. Die Befunde sind für mich schon lange kein Fachchinesisch mehr. Und die letzten unterschieden sich kaum. Es gab keine großen Veränderungen- also auch keine Verschlechterungen.
Befunde ohne Arzt zu lesen ist so, wie Symptome zu googeln. Niemals gut.
Nie.
Ich tat es trotzdem. Ich las von den bekannten Problemen, doch die Liste war länger geworden. Viel länger.
Linkstorsionsfehlhaltung, Steilstellung, Osteochondrosen, Bandscheibenprotusion, Spondylarthrosen, Hypertrophie der Ligamenta flava, kleine Synovialzyste, degenerativ deformierter Spinalkanal.
Ich verstand, was die Fachworte bedeuteten – nur bewerten konnte ich sie nur bedingt. Erklärte dieser Befund meine aktuellen Beschwerden? Was bedeutete er langfristig? Gab es mehr Grund zur Sorge, als sowieso schon? Wie wird es mir in 10 Jahren gehen?
Ich weiß, letzteres wird mir auch ein Arzt nicht beantworten können. Aber nach dem Lesen tauchte eine Frage, eine Sorge, ein unheilvolles Bild nach dem anderen in meinem Kopf auf. Soviel steht fest: In den nächsten zwei Nächten bis zum Besprechungsterming wird der Schlaf unruhig sein. Denn eines verstehe ich genau: All diese Dinge können nicht behoben werden. Sie sind jetzt da. Was bedeutet das?

