
Arbeits(un)fähig
Ich habe Urlaub und solche Schmerzen, dass ich verzweifelt bei meiner Schmerztherapeutin angerufen und um einen spontanen Termin gebeten habe. Ein Zeichen dafür, dass ich mir gerade nicht selbst helfen kann.
Ich könnte sie bitten, mich krank zu schreiben. Mit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung könnte ich mich krank melden und mir die Urlaubstage zurück holen. Zu einem anderen Zeitpunkt, wenn es mir besser geht, den Urlaub nachholen. Das wäre mein Recht. Urlaub dient der Erholung, nicht der Genesung.
Statt dessen warte ich ungeduldig, dass der lange Tag zu Ende geht und bin einfach froh, dass es keine Konsequenzen hat, dass ich nichts tun kann. Schade, um den Urlaubstag. Schön, dass ich heute nichts muss. Es erspart mir großen Stress und ein schlechtes Gewissen.
Ich liege rum und warte darauf, dass der nächste Morgen kommt und ich zur Ärztin fahren kann. Als sie nach der Behandlung fragt, ob ich eine Krankschreibung brauche, zögere ich und lehne dann ab. Zu Hause warte ich darauf, dass die Schmerzspritze wirkt. Die kommenden Urlaubstage sehen ganz ähnlich aus. Schade. Wieder im Büro, werden Fragen warten, wie der Urlaub war, was ich schönes unternommen habe… Wieder muss ich, wie an so vielen Wochenenden auch, antworten, dass ich die Tage ziemlich inaktiv verbracht habe…
Nach dem Urlaub halte ich eine Woche gut durch. Dann kommt der Schmerz zurück. Jeden Morgen die Frage: Packe ich den Arbeitstag? Am Mittwoch geht es dann nicht mehr. Trotzdem gehe ich zur Arbeit, bringe den Tag irgendwie hinter mich. Ich kann mich nicht krank melden, nicht wieder. Als ich ins Bett gehe, denke ich, dass es morgen nicht gehen wird, dennoch stelle ich meinen Wecker auf die übliche Zeit.
Die ganze Nacht schlafe ich unruhig. Hingehen oder nicht? Ich hasse das. Ich weiß, dass meine telefonische Krankmeldung akzeptiert und vor allem nicht kommentiert wird. Ich habe einen fairen Abreigeber. Trotzdem kostet es mich Überwindung, trotzdem ist es mir irgendwie unangenehm. Ich weiß, dass meine Kolleginnen mich gut vertreten, dass sie meine Aufgaben einfach übernehmen, so wie ich ihre übernehmen würde. Und trotzdem habe ich ein schlechtes Gewissen. Schon wieder. Ich weiß, dass ich niemandem helfen würde, wenn ich unkonzentriert und völlig fertig im Büro säße, und trotzdem ist es nicht einfach. Das Krankmelden stresst mich.
Ich fehle öfter als andere. Ich rede öfter als andere von Gesundheit und Krankheit, ich mache anders Pläne als der Rest des Teams, bitte um Notfallpläne, falls ich Aufgaben doch nicht übernehmen kann.
In diesem Jahr bin ich das erste Mal so lange krank geschrieben gewesen, dass ich Krankengeld bekommen habe, also über sechs Wochen am Stück. Genauer gesagt waren es mehrere Monate. Aber auch davor, in den letzten vier Jahren und wenn ich mich nur für wenige Tage am Stück krank melden musste, fiel mir das nicht leicht. Ich mag meinen Job und ein kleines bisschen identifiziere ich mich auch über ihn. Dass ich häufiger fehle als andere im Büro, sorgt für ein ungutes Gefühl gegenüber dem Arbeitgeber und dem Kollegium, obwohl ich nichts dafür kann und obwohl mich niemand offen verurteilt.
Kurzfristig macht es mir zu schaffen, nicht arbeiten zu können.
Und dann ist da noch die Frage: Wie sieht es in einigen Jahren aus? Nach meiner langen Krankheitszeit in diesem Jahr, habe ich mich entschieden meine Arbeitszeit zu reduzieren, um mehr Zeit zu haben, mich um die Gesundheit zu kümmern. Aus verschiedenen anderen Grüden finde ich es gut, nicht in Vollzeit zu arbeiten, aber entscheidend war die Gesundheit. Seitdem höre ich immer wieder, zuletzt von meinem Chef, dass man sich ja nicht nur Sorgen um die aktuelle Finanzierung des Lebens machen sollte, sondern dass sich das ja auch auf die Rente schlägt. „Willst du wirklich bei der Reduzierung bleiben?“
Ich stelle mir nicht die Frage, wie hoch meine Rente sein wird. Ich arbeite im Sozialwesen, sie wird in jedem Fall mies. Ich stelle mir nicht die Frage, ob ich mit 65 oder 67 in Rente gehen werde. Ich frage mich, ob ich mit 50 noch in der Lage sein werde zu arbeiten.
Und wenn ich es dadurch bis 50 schaffe, dass ich heute etwas lagsamer mache, dann tue ich es. Wenn die Alternative ist, dass die Arbeit mich kaputt macht, sodass ich vielleicht noch 10, aber womöglich keine 20 Jahre mehr voll arbeiten kann, dann lieber weniger aber länger.

