
Medikamente
Ich wache auf. Der Schmerz schießt in den Rücken und ins Bein. Ich kann mich kaum bewegen. Die Migräne von gestern ist auch noch nicht ganz weg. Wie schaffe ich es ins Büro? Mein Blick fällt auf die Medikamentensammlung im Badezimmerschrank.
Ja oder nein?
Und wenn ja, was und wieviel?
Und wenn nein, was ist die Alternative?
„Sie nehmen zu viel Schmerzmittel. Das sollten Sie ändern.“ Ich saß bei meiner Ärztin und sah sie an. Fast hätte ich gelacht. Ich überlege jedes Mal ob es wirklich sein muss. Ich schreibe mir auf, was ich wann einnehme, damit ich den Überblick behalte. Und damit ich weiß, ob ich die 10 Tage im Monat überschreite oder nicht. Ich versuche es erst mit Entlastung und Wärme oder Rückenübungen, aber manchmal weiß ich schon vorher, dass das nichts bringen wird. Oder der Schmerz ist so schlimm, dass ich gar nicht in der Lage bin, irgendwelche Übungen zu machen.
Sie nehmen zu viele Schmerzmittel. Aber eine andere Idee habe ich leider auch nicht. Lassen Sie es doch einfach. Haha.
Im Krankenhaus habe ich zwei Menschen getroffen, die während unseres Aufenthalts einen Entzug wegen Medikamentenübergebrauch machen mussten. Das möchte ich wirklich nicht selbst erleben. Ich bin vorsichtig. Und ich möchte meinem Körper nicht schaden. Die letzten 20 Jahre mit Medikamenten waren für Leber und Nieren sicher schon herausfordernd genug.
Aber auf der anderen Seite, auf der „nicht nehmen“ Seite steht ein Beruf, dem ich dann an Schmerztagen nicht nachgehen kann, stehen schlaflose Nächte, nach denen ich mich bei der Arbeit nicht konzentrieren kann, steht Leid und Qual. Und die Gefahr, dass sich der Körper den Schmerz merkt. Keine Schmerzmedikamente einnehmen ist also keine Option.
An dem Morgen im Bad drehe ich die Schachteln hin und her. Aufgereiht stehen Novaminsulfon, Aspirin, ein Triptan. Tilidin für den Notfall – an dieses Medikament habe ich mich aber selbst an den übelsten Tagen nicht getraut, die Packung ist noch verschlossen. Ich möchte nicht allein sein, wenn ich es zum ersten Mal nehme. Eigentlich möchte ich es überhaupt nicht nehmen.
Ich packe die Medikamente ein und fahre zur Arbeit. Für den Fußweg von der Bahn zum Büro brauche ich viel länger als an anderen Tagen. Am Schreibtisch bin ich unkonzentriert. Nachmittags halte ich es nicht mehr aus. Ich zähle vierzig Tropfen Novamin in ein Wasserglas ab. Gestern Abend habe ich ein Triptan genommen und es bereitet mir Unbehagen nach so kurzer Zeit ein anderes Medikament zu nehmen, obwohl ich weiß, dass es okay ist. Der eklig-süße Geschmack breitet sich im Mund aus. Dann notiere ich die Einnahme. In den letzten 30 Tagen habe ich an 12 Tagen einen Eintrag. Scheiße. Nach einer halben Stunde wird der Schmerz erträglicher und ich ärgere mich, dass ich nicht schon am Morgen etwas eingenommen habe.
Neben den Akut Medikamenten, die ich nur bei Schmerzen einnehme, gibt es auch noch die Profilaxe. Ich habe es bisher mit Amitriptylin und Bisoprolol versucht. Dazu hochdosiertes Magnesium. Aber als ich im Mai in einen Tablettendispenser schaute, in dem für jeden Tag sechs Pillen lagen und es mir doch nicht wirklich besser ging, habe ich alles abgesetzt. Vier Monate später, geht es mir gleich, geschadet hat das also nicht und ich bin froh, dass ich da auf mein Gefühl gehört habe.
Die Abwägung, die Entscheidung ja oder nein und wenn ja was und wieviel finde ich immer wieder schwierig. Ich muss wissen, was ich zusammen nehmen darf und was nicht, wieviel Zeit zwischen den Einnahmen liegen muss und entscheiden was bei welchem Schmerz helfen könnte. Aber oft genug mischen sich Scherzformen und ich muss entscheiden, welcher Scherz schlimmer ist, welches Medikament also zu erst kommt. Wenn ich A nehme und es nicht hilft, kann ich hinterher nicht noch B nehmen und so weiter… C darf ich Maximal an 8 Tagen im Monat nehmen. Medikament D soll immer gleich bei den ersten Anzeichen von Schmerz genommen werden. Manchmal weiss ich aber wenn der Schmerz kommt noch gar nicht, welcher Schmerz es wird. Migräne oder anderer Kopfschmerz? Oder… Und am liebsten würde ich es immer vermeiden. Ich hasse diese Chemiecocktails und bin ihnen sehr dankbar.

