Alltag mit Schmerz

Worte finden

Es fühlt sich an wie Messerstiche in die Wirbelsäule. Und gleichzeitig als ob ein Stromkabel durch eine Kopfhälfte läuft und immer wieder elektrische Schläge austeilt. Manchmal ändert sich der Schmerz nach ein, zwei Tagen. Dann ist es, als ob riesige Mengen Druckluft in den Kopf gepresst werden und er bald platzt. Manchmal ist es nur, als ob Flüssigkeit statt Hirn hin und her schwappt und bei jeder Bewegung gegen die Kopfwände platscht.
Manchmal, wenn auch Übelkeit oder Schwindel dazu kommen, fühlt es sich so an, als wäre ich komplett abgeschirmt von der Außwenwelt. Ich bekomme nichts mit, ich kann mir nichts merken, mich nicht konzentrieren. Ich laufe mit unsichtbaren Scheuklappen durch die Welt. Und weil sie keiner sieht, kann auch keiner darauf Rücksicht nehmen.

Manchmal habe ich das Gefühl zu zerbrechen. Einfach in der Mitte durch, ganz unten an der Wirbelsäule. Ich habe das Gefühl, mich nicht bewegen zu können, obwohl es, wenn ich meinen Körper dazu zwinge, natürlich doch geht. Aber es fühlt sich so an, als ginge es nicht.
Ich kenne auch das Gefühl von heftigem Muskelkater, ohne dass die Muskeln beansprucht waren. Und natürlich das Stromkabel im Bein. Heftige ausstrahlende Schmerzen, die von oben nach unten schießen und mir genau zeigen, wo der Nerv lang läuft. Kribbeln, wie eingeschlafene Füße, in Fingern, Armen oder im Bein, bis hin zu Ausfallerscheinungen, das Gefühl die Kontrolle über den eigenen Körper zu verlieren. Beängstigend.

All das kenne ich und trotz dieser eindrücklichen Worte, sei ehrlich, ist dir klar was ich meine?

Es gibt viele verschiedene Arten von Schmerz. Um ihn gut behandeln zu lassen, muss das Gegenüber, die Ärztin oder Therapeutin, verstehen, welchen Schmerz die Patientin hat. Ich habe es schon hundert Mal erlebt, dass ich vor einer Ärztin saß, beschrieb, erklärte, und dann zögernd hinzufügte: „So genau kann ich das gar nicht beschreiben“. Irgendwann habe ich die Worte gefunden wie ich sie oben geschrieben habe. Und trotzdem, auch mit dieser bildhaften Sprache, von der jedes Wort ernst gemeint ist, habe ich manchmal das Gefühl, mich nicht verständlich machen zu können.

Schmerzpatienten müssen versuchen, jemandem etwas zu erklären, dass er nicht kennt und trotzdem mit eigenen Erfahrungen oder Bildern abgleichen kann:
„Es fühlt sich an, als ob mein Kopf brennt. Es ist Feuer.“
„Es ist, als ob ich über Glasscherben laufe.“
„Wie ein riesiger Bulldozer, der immer wieder über meine Füße fährt.“

Oft werden eindrucksvolle Bilder gewählt, um ihn zu beschreiben. Und um deutlich zu machen, WIE schlimm der Schmerz ist.
Eine Comicsprache mit Bomben und Feuer, am besten mit Icons, die man in der Größe anpassen kann, wäre schön.

Inzwischen gibt es Bemühungen, Schmerzbeschreibungen zu vereinheitlichen, um Standards für die Behandlung zu haben.
Ein Standard ist die Frage nach der Intensität auf einer Skala von 1-10. „Wenn 1 kaum Schmerz bedeutet und 10 ist der unerträglichste, schlimmste Schmerz der Welt, wie schlimm sind ihre Schmerzen dann heute?“ oder „Wie schlimm waren Ihre Schmerzen dann im Durchschnitt in den letzten vier Wochen?“
Wenn die Patientin sagt es ist eine fünf, dann ist es eine fünf. Auch wenn ein anderer den Schmerz vielleicht bei einer drei einordnen würde. Schmerz ist immer wahr. Ich finde dieses Instrument hilfreich. In meinem Kalender notiere ich die Schlimmen Tage mit kleinen Zahlen am Rand, so kann ich schnell nachzählen, wiviele Schmerztage es in den letzten drei Monaten gab. Und manchmal macht es auch das Erklären leichter. „Heute ist ein vierer Tag“ sorgt zwar nicht dafür, dass meine Familie oder Freunde den Schmerz nachvollziehen können, aber sie können ihn einordnen. Das hilft.

Auch die Beschreibung von Schmerzen wird durch vereinheitlichte Fragebögen erfasst. Gängig ist hier der deutsche Schmerzfragebogen. Diesen oder ähnliche Fragebögen habe ich bestimmt schon zwanzig mal ausgefüllt. Darüber wird die Qualität des Schmerzes erfasst:

  • dumpf
  • drückend
  • klopfend
  • pochend
  • stechend
  • ziehend
  • heiß
  • brennend

Und auch, wie der Schmerz empfunden wird:

  • schauderhaft
  • scheußlich
  • furchtbar

Es ist der Versuch, etwas höchst subjektives verständlich zu machen. Gar nicht leicht. Natürlich muss auch bei anderen Beschwerden die Sprache ausreichen, um einem anderen zu erklären, wo das Problem liegt. Aber da oft eine körperliche Untersuchung nur wenig Aufschluss bietet, muss die Beschreibung bei chronischen Schmerzen noch genauer sein. Es soll etwas messbar gemacht werden, das nicht objektiv messbar ist. Wer beispielsweise Leistungen von der Rentenkasse bekommen möchte, hat als Schmerzpatient oft ein Problem: Es kann nicht einfach ein MRT, Blutbild oder ein anderer Befund vorgelegt werden, von dem die Schädigung genau abzulesen ist. Es kann kein Vergleich gezogen werden mit anderen Schmerzpatienten in derselben Situation: Im Mittel kommen die Patienten soundso zurecht. Und auch die Instrumente von Psychotherapeutinnen und Psychiaterinnen, entwickelt um Leid zu erfassen, das nicht körperlich ist, helfen nur eingeschränkt. Das Leid muss nachgewiesen, kann aber nicht wirklich gemessen werden. Ein Ablehnungsbescheid folgt oft auf den nächsten.

Ich tue mich immer wieder mit den Beschreibungen schwer. Bei Ärztinnen und auch bei anderen Menschen.

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