Alltag mit Schmerz

2020

2020 bleibt mit Sicherheit in Erinnerung. Bei Jeder und Jedem, es war ein sehr besonderes Jahr. Besonders unerwartet, anstrengend, prägend?

In diesem Jahr stand immer wieder das Gesundheitliche bei mir im Vordergrund. Unfreiwillig.
Gerne würde ich sagen, die Gesundheit stand im Vordergrund, weil ich bewusst den Fokus darauf gelegt und es endlich gut hinbekommen habe, mich um sie zu kümmern. Aber nein, trotz allem (oder wegen, da bin ich manchmal nicht sicher…) ist mir letzteres nicht gelungen. Sie hat sich mit Macht in den Vordergrund gedrängt.

Ja, es gab Schönes, das kann ich nicht bestreiten. Es gab Vieles, für das ich sehr dankbar bin. Aber einige Episoden hätte ich gern ausgelassen.

Das Jahr fing mit Schmerzen an. Ich war mürbe, nicht mehr bereit, die Situation zu ertragen, es musste sich was ändern. Der Tank war leer. Ich war das ewige Aufraffen, um zu funktionieren, und dann wieder alle Kraft aufbrauchen, Leid. Den Januar verbrachte ich krankgeschrieben in Warteposition. Reha, Krankenhaus, irgendwas, nur nicht zur Arbeit, nur nicht der Alltag, denn der ging so einfach nicht mehr. Ende des Monats dann die Entscheidung und das Go, dass ich auf einer psychosomatischen Station aufgenommen würde. Bis ein Platz frei war arbeitete ich wieder und im März ging es dann los.

So verbrachte ich auch den ersten Lockdown im Krankenhaus. Einige Einschränkungen waren ärgerlich, Sportgruppen fielen aus, Besucherinnen durften nicht auf das Gelände. Keinen Besuch zu bekommen bedeutete für mich aber auch, runter zu kommen. Nicht über das Außen nachdenken zu müssen, und das war gar nicht so schlecht. Es gab sehr nette Mitpatientinnen, es gab feste Tagesabläufe und alles in allem habe ich von der stillgelegten Welt nicht viel mitbekommen.

In der ersten Maiwoche ging es mit gemischten Gefühlen nach Hause. Etwas enttäuscht, denn es ging mir kaum besser, etwas erwartungsvoll, denn vielleicht stellte sich die Besserung doch noch ein, etwas frustriert. Etwas froh, wieder Normalität zu bekommen und mit Freude über den Frühling. Immerhin.

Die Entscheidung, nicht in Vollzeit an meinen Arbeitsplatz zurück zu kehren, war einfach. Finanziell nicht, aber trotzdem war klar: Dieses Jahr hat etwas Anderes Vorrang. Weniger Zeit bei der Arbeit bedeutete auch mehr Zeit für mich. Dafür, Rituale zu etablieren, die mir gut tun würden. So der Plan. Das ist mir leider bisher nicht gelungen, aber trotzdem tut es mir gut, weniger im Büro zu sitzen. Und wenn der Schmerz kommt, dann weiss ich: Bald ist Feierabend. Und früher war klar: Du musst noch fünf Stunden durchhalten! Also ein kleiner Erfolg, auch wenn das mit den Ritualen wie Bewegung, Schlaf, Ernährung nicht wie gedacht geklappt hat.

Ich habe angefangen, mehr darüber zu reden, was bei mir gerade los ist und das war gut. Ich hatte oft das Gefühl zu entäuschen, alle (mir inklusive) haben ja erwartet, dass es nach der Klinik besser wäre. Und obwohl ich dieses Gefühl der Entäuschung und manchmal des Entäuschens habe, versuche ich ehrlich zu sein. Zu reden. Zu informieren.
Oft habe ich mich gefragt, ob es gefährlich ist, den Schmerz als Krankheit zu akzeptieren. Dass er dann bleibt.
Also für den Moment akzeptieren aber hoffen, dass es doch noch anders wird und sich nicht ergeben.

Mit dem Schmerz gehen bei mir, wie bei vielen Schmerzpatienten, depressive Episoden einher. Immer Schmerzen zu haben zieht runter. Als im November der zweite Lockdown kam, und dann auch noch in der dunklen Jahreszeit, befürchtete ich, dass es mir damit ziemlich schlecht gehen würde. Aber in den ersten Wochen ging es mir recht gut und ich glaube, das hat auch etwas mit dem zu tun, was ich bisher schon erlebt habe.

Augen zu und durch, es einfach durchstehen, abwarten, dass es besser wird. Das kenne ich alles ziemlich gut. Und dabei nicht den Mut verlieren, immer wieder merken, dass es nach dem Tief ein Hoch gibt, mir selbst gut zureden, dass ich es schaffe, auch dieses Mal… Das ist auch etwas, in dem ich geübt bin. Trotzdem ist es nicht leicht, kostet jedes Mal Kraft, aber es ist eine Erfahrung, die ich in mir trage. Das stoische Aushalten ist manchmal eine gute Eigenschaft, manchmal bremst es aber auch die Aktivität. Im Lockdown ist es meiner Meinung nach, verbunden mit dem Blick nach vorn, etwas Gutes.

Dass ich nicht so kann, wie ich will, ist mir auch sehr vertraut. Das ist unangenehm, es macht manchmal wütend. Aber oft half mir auch hier nur das geduldige Warten und der Glaube daran, dass es wieder andere Zeiten geben wird. Im Lockdown können gerade viele nicht, wie sie wollen. Ich auch. Aber das ist für mich nicht neu.

Wenn der Schmerz dann kommt und mich zum Rückzug zwingt, dann habe ich im Alltag immer wieder das Gefühl, dass ich etwas verpasse. Alle anderen können. Alle anderen haben gerade Spaß. Meine Freunde gehen heute Abend weg, NUR ich liege allein im Bett. Das macht traurig und es erzeugt Druck. Diesen Druck habe ich jetzt im Lockdown nicht. Es ist scheißegal, ob ich drei Tage im Bett liege und mich bemitleide. Bemitleiden tun sich die anderen gerade auch. Und dass ich etwas verpasse, ist auch eher unwahrscheinlich.

Wenn jetzt der Schmerz kommt, dann kann ich viel früher reagieren. Ich kann im Homeoffice zwischendurch ungesehen auf dem Boden liegen. Ich kann beim ersten Anzeichen von Kopfschmerzen reagieren. Ich muss nicht erst noch unbedingt den Tag hinter mich bringen. Ich kann eine Stunde schlafen und die Arbeit am Abend nachholen. Ich kann genau hören, was mein Körper gerade braucht und denke nicht „ach, die Verabredung hast du nun schon zwei Mal abgesagt, du gehst da jetzt hin, egal wie wenig Schlaf du hattest!“. Das nichts müssen hat zur Zeit auch keine Konsequenzen.

Ich wünsche mir, das irgendwas davon nach der Coronazeit für mich bleibt. Ich weiss noch nicht wie, aber es wäre schön.

Natürlich hat Corona für mich auch eine andere Seite.
Ich vermisse die Menschen. Ich bin viel allein.
Ich kann nicht zur Massage oder zum Sport gehen. Ich hasse es, bei Ärzten oder Physiotherapeuten in Wartezimmern zu sitzen, denn erstaunlich viele, das kann ich aus eigener Erfahrung berichten, haben außer einem Desinfektionsständer am Praxiseingang und Maskenpflicht nichts verändert. Viele Menschen im Wartezimmer sind nicht selten. Schade. Mir macht das ein mulmiges Gefühl. (Ich kenne auch ein sehr Gutes Beispiel für einen veränderten, sicheren Praxisablauf. Aber eben nur einen).

Corona generell macht mir ein mulmiges Gefühl. Ich habe früh verlernt, meinem Körper zu vertrauen. Daraus ist entstanden, dass ich nicht nur bei dem Schmerz den ich kenne, sondern auch bei anderen körperlichen Symptomen genau hinspüre. Oft mit großer Sorge. Die Pandemie schlägt genau in diese Kerbe und führt dazu, das ich mir Sorgen mache mich und andere zu infizieren.

Das Jahr ist absolut nicht gelaufen, wie ich es mir gewünscht habe. Wäre ich zynisch, würde ich sagen, es ist 2020 nichts passiert, außer, dass ich alt geworden bin und mein Körper mich währenddessen geärgert hat. Hurra.

Ich bin aber nicht zynisch. Jedenfalls versuche ich, es nicht zu sein. Denke ich an das Jahr, fallen mir schöne Momente mit Familie und Freunden und mit mir selbst ein. Denke ich an meinen Körper, sehe ich das Jahr als einen Beginn. Ich habe angefangen nach 20 Jahren Schmerzgeschichte mich anders mit ihm auseinander zu setzen. Ich wünsche mir so sehr, dass das etwas bringt. Ich wünsche mir für 2021, dass es mir besser gelingt, mich um meinen Körper zu kümmern, Sport zu machen, obwohl es mir keinen Spaß macht, mich manchmal einzuschränken, weil ich weiß, dass es richtig ist. Rituale zu etablieren. Ich mache mir nie gute Vorsätze für ein neues Jahr. Und ich tue es auch dieses Jahr nicht. Aber ich wünsche mir, dass 2020 ein Anfang von einem guten Weg war und keine Verschlechterung.

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